Eine weitere undatierte, unfrankierte und ungestempelte Postkarte. Dies aber aus gutem Grund, denn ihr war ein Verrechnungsscheck beigelegt. Eine Zeitlang, zwischen 2000 und 2003, habe ich neben meinem Job an einer Universität für eine US-amerikanische Study Abroad Agentur Kurse in deutscher Geschichte unterrichtet, den Forderungen nach Flexibilisierung also vollauf Genüge getan. Die akademische Leiterin des Berlin-Programms war eine sehr liebenswürdige Person und ich freue mich, beim Nachdenken über diese Postkarte erfahren zu haben, dass sie weiterhin in diesem Feld arbeitet und es ihr offensichtlich gut geht.

Ich unterrichtete kleine Klassen von acht bis zwölf Studierenden in deutscher Geschichte mit dem Schwerpunkt auf Nationalismus, Staatsbürgerschaft und nationaler Zugehörigkeit. Wir trafen uns fünf bis sechs Mal, die Studierenden schrieben ihre Essays und abschließend trafen wir uns nochmals, um die Essays zu besprechen. Einmal war der Kurs auf einen Tag Mitte September 2001 terminiert. Ich wollte absagen, doch die Studierenden (vielleicht aber auch die akademische Leiterin des Programms) wollten, daß der Kurs stattfand. Wir trafen uns im 18. Stock meines Bürogebäudes (eine in diesem Moment vielleicht doch unglückliche Entscheidung, den Kurs in einem Hochhaus abzuhalten). Ich brachte nationale und internationale Zeitungen mit, auch um meine Solidarität zu bekunden und weil ich dachte, daß darüber sprechen eine gute Sache wäre. Ich werde nie vergessen, wie zwei elendig lange Stunden ich weinenden Halberwachsenen gegemübersaß und einfach nicht recht wußte, was zu tun wäre.

9/11, wie auch 11/9, gehört zu jenen Tagen, von denen ich noch genau weiß, was ich morgens bis abends gemacht habe. An beiden Tagen saß ich vorwiegend im Auto. An diesem sonnigen Septembertag war ich mit meiner damaligen Freundin, heute Frau, auf der Rückreise von einem Urlaub auf der Insel Elba. Kurz hinter München - Autobahnraststätte Fürholzen - machten wir eine Pause. Ich ging auf's Klo und sah eine kleine Menschenansammlung vor einem kleinen Fernseher sich zusammenrotten. Ich ging zurück zum Auto, dessen Motor inzwischen zusammengebrochen war - und sagte zu meiner Freundin, dass irgendwo ein Wolkenkratzer brennen würde. Als wir später durch die Radioberichterstattung genauere Informationen erhielten sagte ich prophetisch: "Das bedeutet Krieg." Dass es ein so langer, ein so blutiger Krieg werden würde, den wir kaum als Krieg bezeichnen, das hatte allerdings auch ich nicht auf der Rechnung. Zurück zu gegenwärtigen Jahrestagen. Ich habe absolut keine Ahnung, was ich am 3. Oktober 1990 gemacht und gedacht. Der Tag bedeutet mir nichts, aber ich spüre die Konsequenzen...

Zurück zur Karte. Es handelt sich um eine touristische Karte aus Tombstone. Tombstone ist eine historische Westernstadt in Arizona und reiht sich ein in die Liste, berühmter kurioser Städtenamen, wie Fucking in Österreich oder Swastika in Ontario. Es gibt dort tägliche Zurschaustellungen des berühmten Schußwechsels, an dem die Earp Brüder und Doc Holliday beteiligt waren. Die Opfer liegen auf dem auf der Karte benannten Friedhof begraben. Interessant, aber wenig überraschend ist, wer auf den kreuzen nicht namentlich genannt wird: Chinesen und Indianer. Und wer es ganz kurios möchte, der richte sein Augenmerk bitte auf das Kreuz für den unglücklichen George Johnson unten links. So war der Wilde Westen.

Auf der Rückseite schrieb die akademische Leiterin des Programms eine Aufstellung der Kosten und des Honorars, die mir per Verrechnungsscheck beglichen wurden. Eine hübsche Summe, die mir damals sicherlich sehr willkommen war.

P.S.: Sollte der Schriftzug auf dem Kreuz unten links nicht lesbar sein: George Johnson. Hanged by mistake... Sachen gibt's.

[C.S. ca. 2002]