Donnerstag, 1. Oktober 2015

Früher nannten das manche Gottesurteil. Ich sage, welch' schöner Zufall. Verabrede ich mich doch kürzlich mit einem Freund von der Sorte, von der man maximal zwei, drei hat, zum Telefonieren, ziehe ich später eine Postkarte aus dem Karton und führe ich am Abend ein schönes Telefonat. Und natürlich hatte ich eine Karte gezogen, die mir ebendieser vor vierundzwanzig Jhren zugeschickt hatte.

Die Karte ist unfrankiert und undatiert, und doch kann ich sie exakt auf Mitte Juli 1991 datieren, weil sie sich auf ein persönliches Lebensereignis bezieht, das mich daran erinnert, wie jung ich damals war und wie alt ich doch geworden bin.

Zum Titel ist wenig zu sagen. Er ist rückseitig in sechs Sprachen übersetzt, darunter auch in jene Sprache, in der er gesagt wurde. Denn in den Mund gelegt wird die Lebensweisheit "Der Ball ist rund ein Spiel dauert 90 Minuten" natürlich dem Reichs- und Bundestrainer Sepp Herberger. Manchmal liegt die Weisheit in der Schlichtheit, ein andermal jedoch kippt diese wiederum in den Blödsinn. Ich bin wohlwollend und entscheide mich für die erste Variante.

Dieser Freund hat nun allerdings kaum eine Affinität zum dem Spiel, auf den sich dieser Satz bezieht. Aus diesem Grund muß die Auswahl wohl mit den Besonderheiten des Adressaten zu tun haben. Als fünfter von sechs Enkeln war ich der einzige, der allsamstäglich um 15.30 Uhr knapp zwei Stunden in Raum mit dem Großvater verbringen durfte, um der Radio-Liveberichterstattung zu folgen. Ich quatschte nicht dazwischen und ich wußte zu welchen Teams ich halten mußte. Tagtäglich spielte ich, wann immer es ging, Fußball - zur Not mit mir und gegen mich selbst oder sogar gegen meine Schwester (die ich natürlich schwindlig spielte). Eine große Karriere war mir nicht vergönnt. Genau genommen war es sogar eine ziemlich peinliche Karriere, aus der ich zwei bezeichnende Ereignisse erzählen möchte. Wir waren eine gute Jungenmannschaft in der C-Jugend und gewannen am Fließand. In einem Spiel verprügelten wir den Gegner mit 19:0. Ich erzielte als einziger kein Tor. Daß ich in der Defensive spielte, taugt nicht als Erklärung, da sogar unserer Towart zwei Tore erzielte. Dann war da noch zwei Jahre später das größte Spiel, das wir mit dieser Jugendmannschaft hatten, ein Halbfinale um die Regionalmeisterschaft, also dort, wo dann langsam schon Vereine auftauchen, deren Namen man gemeinhin kennt. Wir verloren nur knapp mit 1:2. Ich aber erhielt vor den Augen meines Vaters, es war das einzige Mal, daß er mir beim Kicken zuschaute, eine rote Karte für etwas, was wohl ein rutales Foul von hinten gewesen sein muß. Also wechselte ich die Seiten und wurde für etwa zehn Jahre "Fan".

Ich lese noch immer den Sportteil der Tageszeitungen und schaue auch ab und an ein Fußballspiel im Fernsehen an. Doch eigentlich interessiert es mich nicht mehr, ist es nicht mehr mein Spiel. Vielleicht bin ich erwachsen und langweilig geworden. Alkohol, Frauen und Zigaretten erledigten den Rest. Und doch bin ich immer wieder geneigt, meine Spielerkarriere wiederaufzunehmen. Ich denke dann an eine vernünftige Ü-40-Mannschaft (ich hasse es zu verlieren, doch noch mehr hasse ich, jene, die es nicht schert, wenn sie verlieren), doch muß mich beeilen, sonst werde ich einer noch höheren Altersklasse antreten müssen.

[R.W. 1991]